Hauptprospekt: Sockelbereich mit Blick auf das Brustwerk
Hauptprospekt: Sockelbereich mit Blick auf das Brustwerk

Kunst- und orgelbaugeschichtliche Bedeutung des Projektes der Beck-Orgel in St. Martini zu Halberstadt

Der Prospekt der ehemaligen Beck-Orgel von 1596 ist aus kunst- und orgelbaugeschichtlicher Sicht gleichermaßen bedeutend. Er gehört zu den prunkvollsten und künstlerisch ambitioniertesten Orgelfassaden des 16. Jahrhunderts im nördlichen Europa. Die den Betrachter bedrängende Überfülle von Ornament und figürlichem Schmuck entspricht dem Repräsentationsbedürfnis eines musik- und kunstbesessenen Renaissancefürsten: Mit diesem ursprünglich für die Kapelle seines Schlosses in Gröningen gebauten Instrument schuf Herzog Heinrich Julius von Braunschweig-Lüneburg den Idealtypus einer höfischen Prunkorgel im Zeitalter des Manierismus. Der Bau dieser bald weltberühmten Orgel gehörte zu den kühnsten Unternehmungen des Fürsten. Klangkonzept und künstlerische Ausgestaltung waren erkennbar von dem Anspruch geleitet, wenn nicht die größte, so doch die großartigste Orgel der Epoche zu schaffen. Die überlieferte opulente Disposition des Beckschen Werkes mutet wie eine Enzyklopädie aller um 1600 denk- und wünschbaren Orgelklänge an.

Die Gesamtarchitektur der Orgel wird in ihrer überwältigenden Schönheit freilich erst begreifbar, wenn man den im frühen 19. Jahrhundert beseitigten Rückpositivprospekt hinzudenkt, der sich heute in der Dorfkirche zu Harsleben befindet. Orgelbaugeschichtlich bedeutsam ist weiter die imposante Stellung der raumhohen Pedaltürme, die bis auf Emporenniveau herab reichen und daher die längsten und größten Pfeifen in voller Länge und Pracht zeigen. Gemeinhin als Hamburger Prospekt bezeichnet ist dieser Aufbau in der Beckorgel bemerkenswert früh in unüberbietbarer Großartigkeit ausgebildet.

Während die ebenfalls im Auftrag von Herzog Heinrich Julius von Esaias Compenius 1610 geschaffene Orgel, ursprünglich für das auf halber Strecke zwischen Halberstadt und Wolfenbüttel gelegene Schloss Hessen erbaut und heute in der Kapelle von Schloss Frederiksborg bei Hillerod (Dänemark) aufgestellt, als das bedeutendste Klangdenkmal des mitteldeutschen Orgelbaus der Zeit um 16.00 zu gelten hat, ist der Prospekt der Beck-Orgel ein einzigartiges Symbol für das Maximum an architektonischer und bildhauerischer Prachtentfaltung, das der Orgelbau in der Zeit zwischen Spätrenaissance und Frühbarock aufzubieten hatte. Darin ist er nur den prächtigsten italienischen, nordfranzösischen, niederländischen und spanischen Orgelprospekten jener Epoche vergleichbar.
Quelle: Jean-Charles Ablitzer: Die David-Beck-Orgel in der Schlosskapelle zu Gröingen – 1770 in die St.Martini-Kirche zu Halberstadt umgesetzt